Bei einer GmbH-Insolvenz wird das Finanzamt immer versuchen, den bzw. die Geschäftsführer für Steuerschulden der GmbH mittels Haftungsbescheid persönlich in Haftung zu nehmen. In einem aktuellen Fall musste das Finanzamt jedoch zurückrudern.
Geschäftsführerin und Liquidatorin einer GmbH
Meine Mandantin war (formelle) Geschäftsführerin und danach Liquidatorin einer GmbH. Am 01.07.2010 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt und die GmbH am 20.01.2011 wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 394 FamFG von Amts wegen gelöscht.
Fahndungsprüfung und Steuerstrafverfahren
In der Folge der Insolvenz wurde gegen meine Mandantin eine Fahndungsprüfung und ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein Strafbefehl, worin meiner Mandantin die Nichtabgabe der USt-Jahreserklärung 2010 für die GmbH vorgeworfen wurde, wurde im Jahr 2020 rechtskräftig. Durch die Nichtabgabe habe meine Mandantin ca. 65.000 Euro USt verkürzt.
Haftungsbescheid wegen Steuerhinterziehung (§ 71 AO)
Parallel hatte das Finanzamt einen Haftungsbescheid gegen meine Mandantin über diese Summe erlassen, gestützt auf § 71 AO (Steuerhinterzieher-Haftung). Gegen den Haftungsbescheid wurde Einspruch eingelegt und das Finanzamt setzte auch die Vollziehung des Haftungsbescheides aus. Anfang 2021 erging die Einspruchsentscheidung. Darin berief sich das Finanzamt u. a. auf die rechtskräftige Verurteilung. Bis dahin war ich noch nicht in das Verfahren involviert.
Klage zum Finanzgericht und AdV-Antrag
Erst jetzt kam ich ins Spiel und erhob Klage beim Finanzgericht. Zudem beantragte ich die weitere Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheides („Anschluss-AdV“). Das Finanzamt lehnte ab. Daher beantragte ich AdV beim Finanzgericht.
Haftungstatbestand nicht erfüllt
Zur Begründung trug ich u. a. vor, dass der Haftungstatbestand des § 71 AO (Steuerhinterziehung) nicht vorliege. Vorgeworfen werde meiner Mandantin pflichtwidriges Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Nach ständiger Rechtsprechung könne Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (insb. Steuererklärungspflicht).
Bei meiner Mandantin als Geschäftsführerin bzw. Liquidatorin der GmbH sei das zwar grundsätzlich der Fall. Allerdings sei das Unterlassen der Abgabe einer Steuererklärung erst dann „pflichtwidrig“ i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn die Frist für die Abgabe der Steuererklärung vollständig abgelaufen ist. Hier ging es um die Nichtabgabe der USt-Jahreserklärung für 2010.
Maßgebliche Abgabefrist war somit der 31.05.2011 (die GmbH war nicht steuerlich vertreten, so dass das „Beraterprivileg“ nicht galt).
Aufgrund Amtslöschung keine Vertretungsbefugnis mehr
Zum Abgabezeitpunkt 31.05.2011 habe aber keine Pflichtwidrigkeit vorgelegen, wie es § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO voraussetzt. Denn mit der Amtslöschung nach § 394 FamFG (oder nach dem früheren LöschG) erlösche das Liquidatorenamt und damit auch die Vertretungsbefugnis des bisherigen Liquidators. Meine Mandantin sei zwar ursprünglich (formelle) Geschäftsführerin und Liquidatorin der GmbH gewesen. Durch die Amtslöschung der GmbH am 20.01.2011 habe sie dieses Amt jedoch verloren. Mangels Vertretungsbefugnis sei meine Mandantin daher rechtlich gar nicht mehr in der Lage gewesen, (spätestens) am 31.05.2011 die USt-Jahreserklärung 2010 für die GmbH abzugeben.
Finanzamt hätte sich um Nachtragsliquidator kümmern müssen
Eine GmbH bedürfe zu ihrer rechtlichen Vertretung eines gesetzlichen Vertreters. Würden nach der Löschung im Handelsregister weitere Abwicklungsmaßnahmen notwendig, so lebe die Vertretungsbefugnis eines früheren Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans bzw. eines Liquidators nicht von selbst wieder auf. Vielmehr müsse dann entsprechend § 273 Abs. 4 AktG auf Antrag vom Registergericht ein Nachtragsliquidator bestellt werden, der insoweit auch die steuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen hat. Meine Mandantin komme somit nur dann als Verpflichtete in Betracht, wenn sie nach der Amtslöschung am 20.01.2011 (erneut) als (Nachtrags-)Liquidatorin bestellt worden wäre, was jedoch nicht geschehen sei.
Finanzamt will auf die USt-Voranmeldungen „umschwenken“
Im AdV-Verfahren versuchte das Finanzamt, auf die Nichtabgabe der USt-Voranmeldungen für die einzelnen Voranmeldungszeiträume in 2010 „umzuschwenken.“ Zu den jeweiligen Abgabezeitpunkten der USt-Voranmeldungen sei sie ja noch Liquidatorin gewesen.
Damit tausche das Finanzamt aber die Haftungsgrundlagen aus, weil es sich bei Pflichtverletzungen bezogen auf die USt-Jahreserklärung einerseits und Pflichtverletzungen bezogen auf die USt-Voranmeldungen andererseits um jeweils andere Lebenssachverhalte handele, meinte ich. Ein solcher Austausch der Haftungsgrundlagen, der den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung in ihrem Wesensgehalt ändern würde, sei jedenfalls im Klageverfahren – nach Ergehen der Einspruchsentscheidung – unzulässig. Haftungsbescheide seien insoweit nicht zeitraum-, sondern sachverhaltsbezogen.
Finanzgericht gibt AdV-Antrag statt
Dem folgte auch das Finanzgericht (SächsFG, 10.12.2021, 1 V 657/21) und setzte die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheides aus.
„… Der in dem angefochtenen Haftungsbescheid angegebene Haftungstatbestand – Steuerhinterziehung durch Nicht-Abgabe der Jahressteuererklärung zum Fälligkeitszeitpunkt (§§ 71, 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) – ist nicht erfüllt. …
Als die Jahreserklärung abzugeben war, war die Ast. nicht mehr Liquidatorin und damit nicht mehr gesetzliche Vertreterin der GmbH. …
… Der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt (Nicht-Abgabe der USt-Jahreserklärung) ist ein anderer als die Sachverhalte der Nichtabgabe der USt-Voranmeldungen …“
Abhilfe in der Hauptsache: Rücknahme des Haftungsbescheides
Daraufhin regte ich an, das Finanzamt möge in der Hauptsache den Haftungsbescheid zurücknehmen. Dies geschah auch, so dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigte. Das Finanzamt muss nunmehr sowohl die Kosten des AdV- als auch die Kosten des Klageverfahrens tragen.
Praxis-Tipp
Im Fall von GmbH-Insolvenzen prüft das Finanzamt immer, ob es den bzw. die Geschäftsführer für Steuerschulden der GmbH persönlich in Haftung nehmen kann. Als Haftungsnormen kommen meist §§ 69, 34 Abs. 1 AO (Vertreter-Haftung) in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Vertreter (Geschäftsführer) grob fahrlässig oder vorsätzlich die steuerlichen Pflichten des Vertretenen (GmbH) verletzt. Bei Vorsatz kommt zudem die Haftungsnorm des § 71 AO (Steuerhinterzieher-Haftung) in Betracht.
In Fällen wie dem vorliegenden ist genau zu prüfen, wann die Vertretungsmacht endete. Wenn steuerliche Pflichten – wie hier – erst nach Ende der Vertretungsmacht entstehen, dann fehlt es an einer Pflichtverletzung. Für die Vertreterhaftung ergibt sich das aus § 36 AO, bei § 71 AO – soweit pflichtwidriges Unterlassen vorgeworfen wird – aus dem Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Das Finanzamt oder das Finanzgericht dürfen sich durchaus Feststellungen aus einem Steuerstrafverfahren zu eigen machen. Das gilt allerdings nicht, wenn substantiiert Einwendungen gegen die Richtigkeit der Feststellungen erhoben und unter Beweis gestellt werden.